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Die Puppennäherin

 

Willkommen auf der Homepage der Autorin Isabell Pfeiffer !

 

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Die Hitze war früh gekommen dieses Jahr, und das Sommergetreide breitete sich schon wie ein grüner Schatten über die Hügel. Gerade jetzt, wo die Halme noch zart und jung waren, musste das Unkraut gehackt und ausgerissen werden, und die Frauen waren jeden Tag draußen in den Feldern: braune, geduckte Gestalten, die den Ackerfurchen die neuesten Gerüchte zuflüsterten. Barbara wischte sich den Schweiß von der Stirn, beschattete die Augen und blickte in das endlose Frühlingsblau. Hoch oben kreiste ein Bussard, bereit, jederzeit auf seine ahnungslose Beute herabzustoßen. Woher sollte man wissen, welche von all den Nachrichten der Wahrheit entsprach? Tag für Tag waren andere, immer noch unglaublichere Neuigkeiten im Dorf unterwegs wie verirrte Wanderer, die um Quartier baten. Aber natürlich gab es auch viele Leute wie Balthes Spaich, die alles glaubten, was ihnen in den Kram passte. Balthes glaubte ja inzwischen sogar die Geschichten, die er selbst in die Welt gesetzt hatte: von dem märchenhaften Reichtum, den er in der Burg Glatt gesehen haben wollte, bis zu seinem eigenen heldenhaften Auftreten, mit dem er dem Burgherrn die Stirn geboten hatte. Wer nicht dabeigewesen war so wie sie selbst, musste glauben, dass Balthes allein den Renschacher in kürzester Zeit zum Nachgeben bewegt haben würde, wären ihm nicht die drei anderen – und hier vor allem die vorlaute Breitwieserin, die offenbar nicht wusste, wann sie ihr Maul zu halten hatte – in den Rücken gefallen. Barbara bückte sich, griff nach einer Distel und zog sie mit einer drehenden Bewegung heraus. Während man Löwenzahn und Brennesseln noch essen oder eine stärkende Jauche für die jungen Gemüsepflanzen aus ihnen ansetzen konnte, waren die Disteln wirklich zu gar nichts nütze. Gott musste sie in dem Augenblick gemacht haben, als er zu Adam gesagt hatte: im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, du und deine Nachkommen. Und damit hatte er sicher nicht nur die Bauern gemeint. Ob die junge Frau in der Burg mit ihren weißen Händen wohl jemals irgendetwas im Schweiße ihres Angesichts getan hatte?

Barbara richtete sich auf; für heute war es genug, es war Zeit für die Vesper. Da sah sie, dass die anderen Frauen zusammenstanden und aufgeregt gestikulierten. Sie folgte mit den Augen dem ausgestreckten Arm der Schultheißin: tatsächlich, unten im Dorf hatte sich eine große Gruppe unter der Linde versammelt und lauschte offenbar dem Bericht eines jungen Burschen in der Mitte. Barbara packte schnell Korb und Hacke zusammen und lief den staubigen Feldweg zum Dorf hinunter. Schon von weitem konnte sie die laute Stimme des Jungen hören.

„... sind auf dem Weg den Neckar herunter und hierher! Und wer sich ihnen nicht anschließt und schwört, dem brennen sie das Dorf nieder!“ Barbara zog den Nächststehenden am Ärmel.

„Was ist los?“

„Der Schwarzwälder Haufe, Bauern aus Alpirsbach. Sie haben den Abt gefangen­gesetzt und das Kloster geplündert, und jetzt sind sie unterwegs! In zwei Tagen können sie hier sein.“ Sie sah sich um: der Bentzinger, der Kehrer, der Pfiffer, der Heusel, der Widemann, der Burcklin, der Kreßpach, in der Mitte, aufgeregt wie die anderen, der junge Pfarrer; Balthes Spaich natürlich, der Schultheiß; Andres, eingekeilt in einer Gruppe von Seldnern. Die Frauen kamen erst jetzt allmählich dazu. Alle standen sie und lauschten dem jungen Burschen, der geradewegs aus Sulz gekommen war und übersprudelte von den Dingen, die er dort gehört hatte. Jeden seiner Sätze begleitete er mit ausfahrenden Armbewegungen; es war Barbara im ersten Augenblick, als würde sie einem Hampelmann zuschauen, bevor sie erkannte, dass an seinem Auftritt nichts Lustiges war. Ihr Herz begann zu galoppieren wie ein durchgegangenes Pferd.

„ ... als ob irgendeiner sich weigern würde! Nein, sie nehmen sich, was sie an Waffen haben, und wenn es nur die Mistgabel ist, und ziehen mit!“

„Und in zwei Tagen können sie hier sein, sagst du?“ Der Junge nickte.

„Zwei Tage, vielleicht auch drei. Je nachdem, ob sie zwischendurch noch eine Burg leerräumen müssen. Ich sag´ euch, die Burgen fallen ihnen in den Schoß wie reife Äpfel! Das feige Pack, was da drin sitzt, haut schon ab, wenn´s den ersten Dreschflegel sieht!“ Plötzlich riss Balthes Spaich einer Frau ihren Eimer aus der Hand, stellte ihn umgedreht vor sich hin und stieg darauf.

„Los, Freunde, worauf warten wir noch?“, brüllte er. „Darauf, dass die Schwarzwälder kommen und unsere Burg plündern? Das können wir auch selbst!“ Er reckte die Faust in den Himmel; ein vielstimmiges Johlen antwortete ihm.

„Holt eure Messer, Schaufeln, Mistgabeln, was ihr habt, und dann ... “

„Wartet, wartet noch!“ Mühsam kämpfte der Schultheiß sich nach vorn. „Denkt drüber nach, was ihr da tut! Die haben ihre Waffenkammer voll auf der Burg, dagegen richten wir doch nichts aus! Und gestern erst hat Renschach zu mir gesagt, dass er jeden Tag mit einer Nachricht seines Bruders rechnet. Warum sollen wir um etwas kämpfen, was wir vielleicht umsonst kriegen können?“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Schultheiß!“, schrie jemand. „Der hat dich doch längst aufs Kreuz gelegt, und du merkst es nicht einmal!“ Einige lachten.

„Geh doch hinter den Ofen, Alter! Und bleib gleich da.“ Balthes Spaich schüttelte triumphierend seine schütteren Haare. „Nichts hält uns jetzt noch auf“, kreischte er. „Für Freiheit und Evangelium!“

Barbara sah, dass der Schultheiß noch etwas sagen wollte, sie sah Andres den Mund öffnen und seinen Nachbarn an den Schultern schütteln, aber in dem Höllengetöse, das jetzt losgebrochen war, konnte sie kein einziges Wort mehr verstehen. Nicht einmal das laute Nein, das sie selbst herausgeschrieen hatte. Die ersten hatten sich mittlerweile mit Dreschflegeln ausgerüstet; ein paar junge Männer holten sich Bohnenstangen aus einem Schuppen. Richtige Waffen gab es nur wenige; die meisten der Dörfler, darunter auch einige Frauen, schwangen Schaufeln, Besen, Peitschen. Aber was machte das schon aus, wenn es um die gerechte Sache ging! Was machte es, wenn man entschlossen war und mutig! Wenn man kämpfte für Freiheit und Evangelium! Auf, Brüder und Schwestern, auf, dass die Herren lernen, wie der Zorn der Bauern schmeckt!

 

©Isabell Pfeiffer

 

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