Die Hitze war früh gekommen
dieses Jahr, und das Sommergetreide breitete sich schon wie ein grüner
Schatten über die Hügel. Gerade jetzt, wo die Halme noch zart und
jung waren, musste das Unkraut gehackt und ausgerissen werden, und die Frauen
waren jeden Tag draußen in den Feldern: braune, geduckte Gestalten, die
den Ackerfurchen die neuesten Gerüchte zuflüsterten. Barbara
wischte sich den Schweiß von der Stirn, beschattete die Augen und
blickte in das endlose Frühlingsblau. Hoch oben kreiste ein Bussard,
bereit, jederzeit auf seine ahnungslose Beute herabzustoßen. Woher
sollte man wissen, welche von all den Nachrichten der Wahrheit entsprach? Tag
für Tag waren andere, immer noch unglaublichere Neuigkeiten im Dorf
unterwegs wie verirrte Wanderer, die um Quartier baten. Aber natürlich
gab es auch viele Leute wie Balthes Spaich, die alles glaubten, was ihnen in
den Kram passte. Balthes glaubte ja inzwischen sogar die Geschichten, die er
selbst in die Welt gesetzt hatte: von dem märchenhaften Reichtum, den er
in der Burg Glatt gesehen haben wollte, bis zu seinem eigenen heldenhaften
Auftreten, mit dem er dem Burgherrn die Stirn geboten hatte. Wer nicht
dabeigewesen war so wie sie selbst, musste glauben, dass Balthes allein den
Renschacher in kürzester Zeit zum Nachgeben bewegt haben würde,
wären ihm nicht die drei anderen – und hier vor allem die vorlaute
Breitwieserin, die offenbar nicht wusste, wann sie ihr Maul zu halten hatte
– in den Rücken gefallen. Barbara bückte sich, griff nach
einer Distel und zog sie mit einer drehenden Bewegung heraus. Während
man Löwenzahn und Brennesseln noch essen oder eine stärkende Jauche
für die jungen Gemüsepflanzen aus ihnen ansetzen konnte, waren die
Disteln wirklich zu gar nichts nütze. Gott musste sie in dem Augenblick
gemacht haben, als er zu Adam gesagt hatte: im Schweiße deines
Angesichts sollst du dein Brot essen, du und deine Nachkommen. Und damit
hatte er sicher nicht nur die Bauern gemeint. Ob die junge Frau in der Burg
mit ihren weißen Händen wohl jemals irgendetwas im Schweiße
ihres Angesichts getan hatte?
Barbara richtete sich
auf; für heute war es genug, es war Zeit für die Vesper. Da sah
sie, dass die anderen Frauen zusammenstanden und aufgeregt gestikulierten.
Sie folgte mit den Augen dem ausgestreckten Arm der Schultheißin:
tatsächlich, unten im Dorf hatte sich eine große Gruppe unter der
Linde versammelt und lauschte offenbar dem Bericht eines jungen Burschen in
der Mitte. Barbara packte schnell Korb und Hacke zusammen und lief den
staubigen Feldweg zum Dorf hinunter. Schon von weitem konnte sie die laute
Stimme des Jungen hören.
„... sind auf
dem Weg den Neckar herunter und hierher! Und wer sich ihnen nicht
anschließt und schwört, dem brennen sie das Dorf nieder!“
Barbara zog den Nächststehenden am Ärmel.
„Was ist
los?“
„Der
Schwarzwälder Haufe, Bauern aus Alpirsbach. Sie haben den Abt gefangengesetzt
und das Kloster geplündert, und jetzt sind sie unterwegs! In zwei Tagen
können sie hier sein.“ Sie sah sich um: der Bentzinger, der
Kehrer, der Pfiffer, der Heusel, der Widemann, der Burcklin, der
Kreßpach, in der Mitte, aufgeregt wie die anderen, der junge Pfarrer;
Balthes Spaich natürlich, der Schultheiß; Andres, eingekeilt in
einer Gruppe von Seldnern. Die Frauen kamen erst jetzt allmählich dazu.
Alle standen sie und lauschten dem jungen Burschen, der geradewegs aus Sulz
gekommen war und übersprudelte von den Dingen, die er dort gehört
hatte. Jeden seiner Sätze begleitete er mit ausfahrenden Armbewegungen;
es war Barbara im ersten Augenblick, als würde sie einem Hampelmann
zuschauen, bevor sie erkannte, dass an seinem Auftritt nichts Lustiges war.
Ihr Herz begann zu galoppieren wie ein durchgegangenes Pferd.
„ ... als ob
irgendeiner sich weigern würde! Nein, sie nehmen sich, was sie an Waffen
haben, und wenn es nur die Mistgabel ist, und ziehen mit!“
„Und in zwei
Tagen können sie hier sein, sagst du?“ Der Junge nickte.
„Zwei Tage,
vielleicht auch drei. Je nachdem, ob sie zwischendurch noch eine Burg
leerräumen müssen. Ich sag´ euch, die Burgen fallen ihnen in
den Schoß wie reife Äpfel! Das feige Pack, was da drin sitzt, haut
schon ab, wenn´s den ersten Dreschflegel sieht!“ Plötzlich
riss Balthes Spaich einer Frau ihren Eimer aus der Hand, stellte ihn
umgedreht vor sich hin und stieg darauf.
„Los, Freunde,
worauf warten wir noch?“, brüllte er. „Darauf, dass die
Schwarzwälder kommen und unsere Burg plündern? Das können wir
auch selbst!“ Er reckte die Faust in den Himmel; ein vielstimmiges Johlen
antwortete ihm.
„Holt eure
Messer, Schaufeln, Mistgabeln, was ihr habt, und dann ... “
„Wartet, wartet
noch!“ Mühsam kämpfte der Schultheiß sich nach vorn.
„Denkt drüber nach, was ihr da tut! Die haben ihre Waffenkammer
voll auf der Burg, dagegen richten wir doch nichts aus! Und gestern erst hat
Renschach zu mir gesagt, dass er jeden Tag mit einer Nachricht seines Bruders
rechnet. Warum sollen wir um etwas kämpfen, was wir vielleicht umsonst
kriegen können?“
„Das glaubst du
doch wohl selbst nicht, Schultheiß!“, schrie jemand. „Der
hat dich doch längst aufs Kreuz gelegt, und du merkst es nicht
einmal!“ Einige lachten.
„Geh doch hinter
den Ofen, Alter! Und bleib gleich da.“ Balthes Spaich schüttelte
triumphierend seine schütteren Haare. „Nichts hält uns jetzt
noch auf“, kreischte er. „Für Freiheit und
Evangelium!“
Barbara sah, dass der
Schultheiß noch etwas sagen wollte, sie sah Andres den Mund öffnen
und seinen Nachbarn an den Schultern schütteln, aber in dem
Höllengetöse, das jetzt losgebrochen war, konnte sie kein einziges
Wort mehr verstehen. Nicht einmal das laute Nein, das sie selbst
herausgeschrieen hatte. Die ersten hatten sich mittlerweile mit Dreschflegeln
ausgerüstet; ein paar junge Männer holten sich Bohnenstangen aus einem
Schuppen. Richtige Waffen gab es nur wenige; die meisten der Dörfler,
darunter auch einige Frauen, schwangen Schaufeln, Besen, Peitschen. Aber was
machte das schon aus, wenn es um die gerechte Sache ging! Was machte es, wenn
man entschlossen war und mutig! Wenn man kämpfte für Freiheit und
Evangelium! Auf, Brüder und Schwestern, auf, dass die Herren lernen, wie
der Zorn der Bauern schmeckt!
©Isabell Pfeiffer
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